Umbenennung von
„Günther-Quandt-Platz“ in „Wilhelm-Krohn-Platz“
Der Bauverwaltung lagen aus Reihen einer politischen Fraktion seit Anfang Juni 2009 Anregungen zur Umbenennung des Günther-Quandt-
Platzes schriftlich vor.
Bis zur Umsetzung dieses Vorgehens haben sich die politischen Parteien auch öffentlich mit der Angelegenheit beschäftigt. Die Fraktionen
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN und Die LINKE beantragen in der Sitzung der Bürgerschaft vom 01.07.2010 zu Punkt 4.30 der Tagesordnung,
Drucksache Nr. 502 AT, die Bürgerschaft möge beschließen:
„ Dem Bauausschuss wird empfohlen, den Günther-Quandt-Platz in Wilhelm-Krohn-Platz umzubenennen.
Die Kosten sind von der Hansestadt Lübeck zu tragen. “
Dem Antrag ist folgende Begründung angeführt:
„ Günther Quandt war als frühes NSDAP Mitglied und Reichswirtschaftsführer mit dem Unrechtsregime der Nationalsozialisten eng
verbunden. In seinen Werken, auch in Lübeck, mussten Zwangsarbeiter Frondienste leisten. Polnische „Zivilarbeiter“ bekamen während
ihres „Arbeitseinsatzes im Deutschen Reich“ auf Grund der nationalsozialistischen Rassenhierarchie keine ausreichende Ernährung.
Der Witwer Wilhelm Krohn wurde kurz nach Eintritt ins Rentenalter auf Grund einer Denunziation von der Gestapo verhaftet. Es wurde ihm
vorgeworfen, einigen so genannten „Fremdarbeiterinnen“ aus Polen wiederholt Lebensmittel gegeben zu haben. Dabei war Krohn kein
ausgesprochen politischer Mensch; seine Motive für die Unterstützung der polnischen Arbeiterinnen waren eher in seiner humanen und
gutmütigen Wesensart zu sehen.
Die genaueren Umstände seiner Festnahme sind nicht geklärt. Möglicherweise wurde Krohn vor dem schleswig-holsteinischen
Sondergericht Kiel wegen „Unerlaubten Umgang mit Fremdarbeitern“ verurteilt und wahrscheinlich wurde er zunächst in das Polizeigefängnis
Fuhlsbüttel in Hamburg gebracht, von wo in der Regel Menschen, die in Lübeck verhaftet wurden, in ein Konzentrationslager eingewiesen
wurden. Am 30. September 1940 wurde er im Alter von 65 Jahren in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg, nördlich von
Berlin, eingeliefert. Er erhielt die Häftlingsnummer 33.229. Keine zwei Monate später, am 29. November 1940 um 14:00 Uhr verstarb Wilhelm
Krohn im Konzentrationslager Sachsenhausen. Als Todesursache wurde eine Zellgewebeentzündung bei akuter Herzschwäche angegeben.
Sein Leichnam wurde eingeäschert. Üblicherweise wurde die Urne mit den Überresten des Verstorbenen an seinen letzten amtlichen
Wohnsitz gesandt, wo er seine letzte Ruhe fand. Bis in die 50er Jahre gab es auch eine Grabstelle für das Ehepaar Anna und Wilhelm Krohn
auf dem Friedhof in Schlutup. Tatsächlich ist er aber wohl in einem Sammelgrab in Berlin-Altglienecke beigesetzt worden. “
Mehr als 800 Personen haben durch ihre Unterschrift gefordert, dass die Umbenennung nur in Abstimmung mit den Schlutuper
Bürgern erfolgen sollte.
Nach weiteren, zahlreichen schriftlichen Eingaben fand am 02.11.2010 eine Bürgerbeteiligung statt.
Beurteilung der Bauverwaltung:
Die Bauverwaltung kann aus den vorgebrachten Argumenten der Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern und auch nach den
eingegangenen Schreiben keine sichere Mehrheit für eine Umbenennung erkennen. Es gibt inhaltlich und auch von der Anzahl, sowohl der
Befürworter, als auch der Ablehnenden gute und stichhaltige Gründe für beide Möglichkeiten. Wie zu erwarten, sind die Meldungen der
Befürworter eher aus dem weiteren, städtischen Umfeld eingegangen und die teilweise sehr deutlichen Ablehnungen aus dem direkten
Umfeld des Günther-Quandt-Platzes formuliert worden.
Daher liegt es nun an den politisch Handelnden, zu entscheiden, dass eine oder dass keine Umbenennung erfolgen soll. Diese notwendige
Entscheidung ist durch den empfehlenden Beschluss der Bürgerschaft dem Bauausschuss auferlegt worden. Sollte eine Umbenennung
beschlossen werden, empfiehlt die Bauverwaltung nach Diskussion, Schriftlage und o.a. Bewertung einen neutralen Personennamen aus
dem Schlutuper Umfeld dafür zu wählen.
Die federführenden Fraktionen im Bauausschuss haben mit ihrer politische Mehrheit in der Abstimmung am 13. Feb. 2012 trotzdem und
entgegen den Einwohnerprotesten, die Umbenennung in „Wilhelm-Krohn-Platz“ beschlossen.
Daraufhin hat sich ein Gesprächskreis gebildet, um mit Beteiligung von Fachleuten den Sachverhalt der Umbenennung noch einmal zu
diskutieren.
Die Ergebnisse dieser Gesprächsrunde sind im nachfolgenden Protokoll aufgeführt.
Schlutuper Gesprächsrunde zu den Vorgängen um die Umbenennung des
„Günther-Quandt-Platzes“ in „Wilhelm-Krohn-Platz“
Protokoll
Termin: Dienstag, der 24.April 2012 - Beginn: 19 Uhr
Ort: VLK – Verein Lübecker Kegler, Palinger Weg 66
Eine Teilnehmerliste ist dem Protokoll beigefügt.
Die Gesprächsleitung hat der Vorsitzende des Gemeinnützigen Vereins Schlutup,
Achim März, übernommen, der den Teilnehmern auch eine kurze
Programmplanung an die Hand gegeben hat.
Tagesordnungspunkte (TOPs) der Programmplanung:
TOP 1: Begrüßung durch den Gesprächsmoderator Achim März. Herr März
äußert den Wunsch, dass im Gespräch die unterschiedlichen Positionen auf faire,
sachliche Art dargelegt werden und als Ergebnis konstruktive Vorschläge
entstehen könnten, wie der Frieden unter den Schlutuper Bürgern wieder
hergestellt werden könne nach einer sehr emotional geführten Debatte um die
Umbenennung.
TOP 2: Vorstellungsrunde: Die Gesprächsteilnehmer stellen sich der Reihe nach
vor, indem sie ihre Motivation für die Teilnahme darstellen und auch schon
Statements abgeben zum Ablauf der Umbenennung. Die Vorstellung nimmt einen
größeren Zeitraum in Anspruch als geplant, da viele Teilnehmer ein großes
Bedürfnis verspüren, ihrem Unmut über die Art und Weise der
Umbenennungsaktion
Ausdruck zu geben.
TOP 3: Was bisher geschah: Nach der Vorstellungsrunde verliest Herr
Eckermann seinen Bericht zum Ablauf der Umbenennungsaktion, so wie sich ihm
der Hergang darstellt. Den Gesprächsteilnehmern liegt seine ausführliche
Darstellung als email-Anhang vor („Entwurf vom 17.03.2012“). Im Rückblick,
den er in der Gesprächsrunde gibt, stellt er den Hergang in den wichtigsten Fakten
dar.
TOP 4: Kurzdarstellung der Viten von Günther Quandt und Wilhelm Krohn
Der Historiker Christian Rathmer beleuchtet für das Gespräch relevante Aspekte
der Viten beider Personen.
Günther Quandt: Bereits vor der Fernsehdokumentation von Professor
Scholtyseck über Günther Quandt, in dem dessen Rolle u.a. für die
Kriegswirtschaft des NS-Regimes dokumentiert wurde, sei bekannt gewesen, wie
Günther Quandt als erfolgreicher Unternehmen sein Vermögen aufgebaut habe.
Dies sei bereits im 1.Weltkrieg geschehen, in der Nazi-Zeit habe Günther Quandt
an seine unternehmerischen Erfolge angeknüpft durch Einstieg in die
Rüstungsindustrie. Die Herstellung rüstungsrelevanter Akkumulatoren sei
kriegsentscheidend gewesen, er habe Hitlers Rüstungspolitik umgesetzt. Auch mit
seinem 2.Standbein, den Munitionsfabriken ( u.a. in Schlutup), sei die
Kriegspolitik der Nazis unterstützt worden. Günther Quandt habe stets nur seine
Geschäftsinteressen im Auge gehabt und sei dabei auch ohne moralische Skrupel
Nutznießer der Arisierung jüdischer Firmen gewesen. Mehr als 50.000
Zwangsarbeiter hätten in seinen Betrieben unter schlechtesten Bedingungen
gearbeitet, etwa jeder 100ste Zwangsarbeiter sei zu Tode gekommen, u.a. durch
Vergiftungsfolgen, Unterversorgung und Entkräftung. Wenn alle Fakten über die
kriegsrelevante Rolle von Günther Quandt zu den Nürnberger Kriegsverbrecher-
Prozessen vorgelegen hätten und vor diesem Gericht auch nicht nur
exemplarische Fälle verfolgt wären, dann wäre Günther Quandt angeklagt und
verurteilt worden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für die
Öffentlichkeit sei exemplarisch Flick verurteilt worden. Im Grunde sei Günther
Quandt unpolitisch gewesen, er sei einer wirtschaftlichen Eigenlogik gefolgt und
habe alle sich ihm bietenden Möglichkeiten der NS-Diktatur genutzt zur
Vermehrung seines Vermögens.
Ein Vergleich mit den Unternehmerfamilien Bosch und Krupp als Namensgeber
von Straßen sei nicht möglich, da die Ehrung den Gründern dieser Unternehmen
im 19.Jahrhundert gelte. In Lübeck - Schlutup seien über 4000 Rüstungsarbeiter
beschäftigt gewesen.
Wilhelm Krohn: Folgendes sei über ihn bekannt: Wilhelm Krohn wurde am
19.4.1875 in Schönberg. Mecklenburg, geboren. Anfang 1900 wurde er im
jugendlichen Alter wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zu einer
Geldstrafe von 3 Reichsmark verurteilt. Danach war er nie wieder auffällig
geworden.
1914 zog er mit seiner Frau und seinen bis dahin drei Kindern nach Schlutup, wo
er in der Fischindustrie arbeitete. Vorher war er dort vermutlich bereits als
Wanderarbeiter tätig gewesen.
Im November 1914 wurde der jüngste Sohn Herbert geboren. 1919 erwarb
Wilhelm Krohn das Lübecker Bürgerrecht. Einer seiner Söhne starb im Alter von
14 Jahren 1920.
Wilhelm Krohn hat offensichtlich ein durchschnittliches, unauffälliges Leben
geführt, über das nicht viel bekannt ist, so wie bei vielen anderen auch. In
Schlutup war er in der Fischfabrik Bade beschäftigt. Nach mehrmaligen Umzügen
lebte er mit seiner Familie lange Jahre im Haus der Fischerfamilie Bade, Hintern
Höfen. 1935 zog die Familie dann in die Feldstraße, die ab 1938 Schusterbreite
heißt. Es war eine Betriebswohnung der Firma Bade, dort wohnten noch weitere
vier Mietparteien. In einem der Nachbarhäuser wohnte der Betriebsleiter der
Firma, er war Mitglied der Ortsgruppe der NSDAP.
Kurz nach Eintritt ins Rentenalter, Wilhelm Krohn war inzwischen Witwer,
wurde er – wahrscheinlich aufgrund einer Denunziation - am 28.Juni 1940 auf
Anordnung der Gestapo Lübeck verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in sog.
„Schutzhaft“ genommen, am 16.9.1940 dann mit anderen Häftlingen in das
Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg, nördlich von Berlin,
überführt. Nach weniger als zwei Monaten kam er dort um, als Todesursache
wurde Zellgewebsentzündung bei akuter Herzschwäche angegeben. Wie viele
andere Opfer des KZ Sachsenhausen wurde er in einem Urnensammelgrab in
Berlin – Altglienecke beigesetzt.
Die Gründe für die Festnahme sind nicht geklärt, da die Gestapo Lübeck alle ihre
Unterlagen noch vor Kriegsende vernichtete.Wilhelm Krohns Kinder haben nie
erfahren, warum der Vater verhaftet wurde. Über eine gewerkschaftliche oder
politische Betätigung ist nichts bekannt. (Ergänzung:Nach Aussage des Enkels
Rainer Krohn, der das Schicksal seines Großvaters 70 Jahre später recherchierte,
wurde ihm vorgeworfen, einigen sog. „Fremdarbeiterinnen“ aus Polen, die in
seiner früheren Firma Zwangsarbeit leisten mussten, wiederholt Lebensmittel
zugesteckt zu haben. Diese lebten vermutlich in einem kleinen, direkt an das
Grundstück seines Wohnhauses angrenzenden Barackenlager.)
TOP 5: Meinungsaustausch: Der Meinungsaustausch entwickelt sich bereits
während der Darstellung der Viten beider Persönlichkeiten, die viele Fragen,
Meinungen und geschichtliche Ergänzungen auslöst. Im ausführlichen Protokoll
wird versucht, die Redebeiträge der Reihe nach wiederzugeben. Hier nun sollen
die wichtigsten Stränge und inhaltlich ähnlichen Argumente zusammengefasst
und mehr ein Resümee versucht werden.
Gegen Ende der Gesprächsrunde zieht Herr März als Moderator ein
Zwischenresümee und stellt zwei Sichtweisen und Vorschläge gegenüber, wie sie
sich herauskristallisiert haben:
•
Auf der einen Seite steht die Forderung der meisten Gesprächsteilnehmer,
den Protest gegen die politische Entscheidung und die Art des
Umbenennungsprozesses weiterzubetreiben und öffentlich zu machen. Dies
dürfe aber nicht zu Lasten der Person Wilhelm Krohn gehen. Es müsse dabei
deutlich werden, dass die Kritik nichts mit „rechter Gesinnung“ zu tun habe,
so wie in der Vergangenheit mehrfach von vereinzelten Befürwortern der
Umbenennung geäußert worden sei.
•
Auf der anderen Seite gebe es den Vorschlag, das Geschehen um die
Umbenennung ins Positive zu kehren. Es könnte Wilhelm Krohn als
unbekanntes Opfer des NS-Regimes stellvertretend für Tausende anderer
unbekannter Opfer gewürdigt werden. Hier sind es die beiden Nicht-
Schlutuper, Frau Greiß und Herr Rathmer, die den Wunsch äußern, dass
versucht werden sollte, die Akzeptanz für Wilhelm Krohn als Namensgeber
des Platzes zu erhöhen.
Es soll zuerst die Argumentation der Kritiker zusammengefasst werden. Dabei
lassen sich zwei Schwerpunkte /Hauptargumentationen herausfiltern:
1.
Kritik an der Art und Weise, wie es zur Umbenennung kam
2.
Wilhelm Krohn als Namensgeber wird abgelehnt mit zwei Begründungen:
a) Der Name passe nicht an den Ort,
b) Es sei fraglich, ob Wilhelm Krohn als Vorbild für eine Straßenbenennung
geeignet sei.
Zu 1. Kritik am Hergang der Umbenennung: Es wird von mehreren Teilnehmern
betont, dass die Umbenennung auf die Initiative von nur zwei Personen
zurückgehe. Die Schlutuper Bürger, vor allem auch die Anwohner des Platzes,
seien in die Namensfindung nicht rechtzeitig eingebunden worden. Sie seien wie
unmündige Bürger behandelt worden und mit der Festlegung auf den Namen
überrumpelt worden. Es hätten viel früher Gespräche stattfinden müssen, auch sei
auf der Versammlung im Rathaus nicht klar gewesen, dass zu dem Zeitpunkt der
Name bereits festgestanden habe. Von den Schlutupern eingebrachte
Gegenvorschläge seien von der Stadtverwaltung nicht diskutiert worden.
Einzelheiten zum Ablauf der Umbenennungsaktion und detailierte Kritik daran ist
im Schreiben von Herrn Eckermann nachzulesen. Es sei unverständlich, dass
selbst die mehr als 800 Unterschriften von Schlutuper Bürgern gegen die
undemokratische Umbenennungsaktion die Stadt nicht zum Einlenken gebracht
habe.
Einige Gesprächsteilnehmer machen deutlich, dass sie für den Fall einer
Änderung in den politischen Machtverhältnissen der Lübecker Bürgerschaft noch
Hoffnung haben, die Umbenennung rückgängig zu machen. Allerdings wünschen
sie nicht mehr den Namen Günther Quandt zurück, sondern plädieren für den
Familiennamen Quandt allein, da sich ihrer Meinung nach die Quandt-Erben ihrer
Familiengeschichte gestellt hätten und die Verantwortung für Kriegsverbrechen
ihres Großvaters übernommen hätten. Es gebe sogar auch die Möglichkeit, den
Namen Günther Quandt zu belassen, dann aber mit entsprechendem Hinweis auf
seine Verstrickung in die NS-Kriegspolitik und seine für die Vernichtungspolitik
relevante Rüstungsproduktion und die Tausenden von Opfern unter den
Zwangsarbeitern.
Einige Gesprächsteilnehmer weisen auf andere Beispiele hin, bei denen der
Bürgerwille nicht beachtet worden sei (Grünstrandbebauung in Travemünde,
Schließung der Schule Moisling)
Zu 2a) Wilhelm Krohn passe als Namensgeber einer Straße nicht an den Ort:
Besonders Herr Schwanke als Kenner der Schlutuper Geschichte und Frau
Tempel als Anwohnerin des Platzes sprechen sich aus historischen Gründen
gegen Wilhelm Krohn als Namensgeber aus. Als Begründung führt Herr
Schwanke an, dass das Gelände um den Platz ein einheitliches Areal der
ehemaligen Quandtfabriken sei, Wilhelm Krohn habe mit den Fabriken dort
nichts zu tun gehabt, er passe als Namensgeber eher dorthin, wo er gelebt habe.
Frau Tempel weist darauf hin, dass der Platz lange Jahre nur eine Werksstraße
gewesen sei, erst in den 50er Jahren sei es öffentliches Land geworden, für sie sei
deshalb der Name des Begründers der Fabriken und des Brotgebers für sehr viele
Schlutuper als Name für den Platz selbstverständlich. Jahrzehntelang habe sich
auch niemand daran gestört.
Zu 2b) Zweifel an Wilhelm Krohn als Vorbild für eine Straßenbenennung: Diesen
Zweifel benennt u.a. Herr Eckermann. Er sei der Meinung, dass die
Stolpersteinsetzung die Ehrung durch Benennung einer Straße ausschließe, es
müssten dazu größere Lebensleistungen des Namensgebers bekannt sein. Dies
treffe auf Wilhelm Krohn aber nicht zu. Herr Eckermann und andere betonen,
dass sie auf keinen Fall die Person Wilhelm Krohn in Misskredit bringen
möchten, sie befürworteten auf jeden Fall die Ehrung durch den 2010 verlegten
Stolperstein.
Behauptungen, von denen vereinzelte Gesprächsteilnehmer gehört hätten,
Wilhelm Krohn sei ein Kleinkrimineller gewesen, konnte Herr Rathmer mit
Fakten aus der Biographie Wilhelm Krohns entgegentreten: Es habe sich um
„Erregung öffentlichen Ärgernisses“ im jugendlichen Alter gehandelt, die mit
einer Geldstrafe von 3 Mark belegt worden sei. Danach habe es nie wieder etwas
an seinem Lebenswandel auszusetzen gegeben.
Einige Gesprächsteilnehmer äußern Zweifel, ob die Verhaftung Wilhelm Krohns
1940 durch die NSDAP und seine Überführung ins Konzentrationslager
Sachsenhausen überhaupt aufgrund einer Widerstandshandlung geschehen sei. Es
gebe keine Beweise, dass er Zwangsarbeitern überhaupt Lebensmittel zugesteckt
habe. Außerdem hätten dies sicher auch andere Schlutuper getan.
Herr Schwanke weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass noch vieles von
der Schlutuper Geschichte in der NS-Zeit nicht aufgeklärt sei.
Vorschläge, wie etwas Positives entstehen könnte:
Herr Eckermann sieht eine positive Entwicklung, wenn sich Projekte entwickeln,
die auch junge Menschen mit einbeziehen. Es sollte ein Schulprojekt angeregt
werden, in dem Schüler die Geschichte Schlutups erforschen über
Familiengeschichten. Es könnte eine vorbildhafte Aufarbeitung der NS-
Vergangenheit werden, wenn die jungen Menschen während ihrer Recherchen
mehr Verständnis für die Lebenssituation der Großelterngeneration entwickeln
würden und auch zu Fragen kämen, die in unsere heutige Zeit übertragbar seien,
z.B. die Frage, wie wir heute mit Menschen aus anderen Kulturkreisen umgehen.
Vor allem die Bedeutung demokratischer Grundrechte könnte ihnen über die
Beschäftigung mit dem Leben in der Nazi-Diktatur bewusst gemacht werden.Herr
Schreiber teilt mit, dass er von der Bereitschaft Stefan Quandts wisse, mit jungen
Menschen über die Quandtfabriken zu reden.
Herr Rathmer macht noch einmal deutlich, dass in der NS-Diktatur nicht viel
Widerstand möglich gewesen sei, selbst bekannte Persönlichkeiten wie Julius
Leber hätten nicht viel mehr machen können als andere unbekannte Menschen.
Die Motivation zur Umbenennung sei gewesen, einem Täter der NS-Diktatur ein
Opfer entgegenzustellen. Die Vorbildfunktion Wilhelm Krohns liege darin, dass
er unter Lebensgefahr geholfen habe. Er stehe symbolisch für den Widerstand
unbekannter Schlutuper, es gebe in Schlutup kein anderes Opfer der Nazi-
Willkür, deshalb sei er gewählt worden. Die Umbenennung müsse aber mit Leben
gefüllt werden, indem man sich mit dem Leben Wilhelm Krohns und überhaupt
der einfachen Bürger Schlutups beschäftige.Wie haben sich die Erwachsenen
damals verhalten? Es solle nicht die Frage nach der Schuld gestellt werden,
vielmehr komme es darauf an, verstehen zu lernen, um es auf heute zu übertragen:
Wie gehen wir mit Herausforderungen um wie z.B. dem Islam, wie
integrationswillig sind wir?
Herr Rathmer erklärt auf Nachfrage sein Interesse an der Biographie Wilhelm
Krohns. Es sei keine Auftragsarbeit gewesen, sondern er habe schon lange Jahre
zur NS-Vergangenheit und den Opfern in den Konzentrationslagern geforscht. In
den Totenbüchern von Sachsenhausen sei er auf Wilhelm Krohn gestoßen. Auch
habe er herausgefunden, dass die größte Gruppe an Nazi-Opfern die
Zwangsarbeiter gewesen seien, etwa 1500 von ihnen seien vor allem durch
unmenschliche Arbeitsbedingungen, schlechte Versorgung und durch Entkräftung
umgekommen. Auch er könne sich Erforschungen der Schlutuper Geschichte
vorstellen, es müsste eng zusammengearbeitet werden mit Lehrern beispielsweise
in den Fächern Wirtschaft und Politik (WiPo) und Weltkunde. So könne z.B. der
Frage nachgegangen werden, welche Rolle das hauptsächlich sozialdemokratische
Schutzbündnis gegen die politische Radikalisierung, das „Reichsbanner“, und der
NS-“Marinesturm“ in Schlutup gespielt haben. Wie sei die politische
Auseinandersetzung damals geführt worden? Sicher sei es leichter, sich mit der
Vergangenheit innerhalb der eigenen Familie auseinanderzusetzen, wenn der
Großvater z.B. Kommunist und nicht NSDAP-Mitglied gewesen sei. Letztlich
gehe es darum: Wie könne Demokratie umgesetzt werden? Warum erfährt die
Piraten-Partei beispielsweise gerade bei jungen Menschen so viel Zulauf?
Herr Schwanke führt noch andere ungeklärten Fragen zur NS-Vergangenheit in
Schlutup an. Wenig bekannt seien z.B. Widerstandshandlungen von
Sozialdemokraten.
In einer Schlussbetrachtung gibt Herr März der Hoffnung Ausdruck, dass das
ruhige, aber engagierte Gespräch der Anfang für weitere konstruktive Treffen sein
könnte, in denen es um die Aufarbeitung bisher ungeklärter Fragen der Schlutuper
Geschichte gehen sollte.
Ende der Gesprächsrunde: gegen 22 Uhr
Protokollantin: Ursula Greiß
6.05.2012
ergänzte und korrigierte Fassung: 22.5.12
Weiter Gesprächsrunden sind in Vorbereitung !
Beiträge zum Wilhelm Krohn Platz, alias Günther Quandt Platz